Teil 4 der Serie STRESSFAKTOR MITMENSCH
Bei Gefahr übernimmt automatisch das Urhirn und schaltet um auf Kampf, Flucht, Totstellen (s. Teil 1-3). Diese biologische Stress-Reaktion ist zwar unser genetisches Erbe – trotzdem ist sie veränderbar! Die entscheidende Frage lautet: WANN SPRINGT UNSERE INNERE ALARMANLAGE AN?
Wollen wir Stress-resistenter werden, dann müssen wir hier ansetzen. Wie geschildert, stammen unsere Ängste meist aus der frühen Kindheit. Doch unser Gehirn ist „plastisch“, es kann dazulernen und sich verändern. Viele Kinder-Ängste haben wir als Erwachsene überwunden. Unser Gehirn hat sich verändert, auch die ‚Alarmanlage‘ im Mittelhirn hat dazugelernt. Als Kind hatte ich vielleicht Angst im Dunkeln, später war es eine Mutprobe, noch später gab es in nächtlicher Dunkelheit auch schöne Erlebnisse (z.B. die erste Liebe), die das Emotionsgedächtnis verändert haben.
Mit manchen Ängsten müssen wir uns aber ganz bewusst auseinandersetzen, sonst bleiben sie im Erwachsenenalter bestehen. Vor allem soziale Ängste, die aus frühen Erfahrungen mit den Eltern oder anderen Menschen stammen. Unser Urhirn hat gelernt, manche Interaktionen als gefährlich einzustufen: Wurde ich damals sehr böse angesehen oder laut ausgeschimpft, dann habe ich den Kopf gesenkt und zwischen die Schultern gezogen. Diese kindliche Verletzbarkeit kann später wieder ‚getriggert‘ werden, z.B. weil der Chef schlechte Laune hat.
Solche Kleinkind-Schutzhaltung hat sich manchmal sogar dauerhaft im Körper festgesetzt. Ohne Umlernen würde diese Haltung, die im Mittelhirn mit Angst verbunden ist, chronischen Stress begünstigen.
Da die KÖRPER-KOORDIANTION aber nicht nur unbewusst gesteuert, sondern auch bewusst steuerbar ist, liegt dort ein wesentlicher Ansatzpunkt, um STRESS-RESISTENTER zu werden. Wenn wir uns aufrichten, mit ‚erhobenem Haupt‘, entspannten Schultern und freiem Brustkorb durchatmen können, dann empfinden wir SICHERHEIT STATT ANGST.
Doch nicht nur erlernte soziale Ängste sind veränderbar, sogar das genetische Programm! Bei körperlichen Angriffen gelassen zu bleiben und darauf deeskalierend zu antworten, ist das Herzstück der ZEN-Kampfkunst Aikido, die Selbstverteidigung mit Friedfertigkeit verbindet:
Eingeübt wird, in Gefahrensituationen immer mit SYSTEM 2, dem bewusstem Denken und Handeln zu antworten, anstatt der vollautomatischen Verteidigung die Regie zu überlassen, SYSTEM 1, wie Daniel Kahneman die instinktive Reaktion aus Stamm- und Mittelhirn genannt hat. Was sich einfach anhört, ist äußerst anspruchsvoll: Aikido-Übungen simulieren mit körperlichen Angriffen eine Bedrohung, die von Natur aus automatisch die Verteidigung durch die Stress-Reaktion auslösen würde. Dies in einer Kampf-Situation zu verändern, erfordert lange Übung. Vor allem aber die KLARE ENTSCHEIDUNG zu einer (inneren und äußeren, s.o.) – Haltung, die der Alarmanlage im Mittelhirn SICHERHEIT signalisiert.
SICHERHEIT IST DER GEGENPOL ZU ANGST: Das entdeckte der Physiologe Stephen Porges, als er die Entwicklung unseres vegetativen Nervensystems unter die Lupe nahm. Seine Polyvagaltheorie bietet einen neuen Erklärungsansatz für die Stress-Reaktion im Körper. Dabei spielt ein bestimmter Nervenstrang im vegetativen (autonomen) Nervensystem die Hauptrolle: Der VORDERE ‚SOZIALE‘ VAGUS, der sich in der Evolution erst mit den sozial lebenden Säugetieren entwickelt hat. Wenn SYSTEM 1 übernimmt, weil wir Angst bekommen, wird dieser Nerv abgeschaltet: Das löst die Stress-Reaktion im Organismus aus.
IST DIESER NERV AKTIV, dann fühlen wir uns sicher und können anderen Menschen vertrauensvoll begegnen, sogar in kritischen Situationen. DANN KANN SYSTEM 2, unser bewusstes Denken, DIE REGIE FÜHREN!
Diese Theorie erklärt auch erstmals den Totstell-Reflex, die letzte Stufe der Lebensrettung in der Stress-Reaktion, – die aber besonders gefährlich ist, wenn sie chronisch wird! Die üblichen Entspannungsmethoden versagen hier völlig, weil der vermeintliche „Entspannungsnerv“, der hintere Vagus, bereits hochaktiv ist und dafür sorgt, dass die Körper-Energie so weit wie möglich heruntergefahren wird!
In der LENKUNG DER AUFMERKSAMKEIT liegt das Geheimnis, wie sich das Anspringen unserer inneren Alarmanlage verhindern lässt. GELASSENHEIT IST TRAINIERBAR. Beim Aikido konzentriert man sich auf die sichere Haltung und auf die Deeskalation, nicht auf den Angriff! Beim Fahrsicherheitstraining lernt man, statt auf die entgegenkommende Gefahr zu starren, den Blick dorthin zu richten, wo man hinwill. Denn die Augen lenken das Gehirn ‚automatisch‘ in Blickrichtung.
Wie sich das übertragen lässt auf Alltagssituationen, beschreibe ich im nächsten Teil:
Umgang mit Angst und anderen starken Emotionen
Bildquelle: Pixabay
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