Beim Einkaufen, bei der Arbeit, im Zug, auf der Autobahn: Jederzeit und überall können andere Leute uns das Leben zur Hölle machen. Wir ärgern wir uns, weil sie uns im Wege stehen, Blödsinn reden oder machen. Uns durch Blicke abwerten, unsere ‚Rechte‘ streitig machen, oder weil sie einfach bösartig sind. Wie schön wäre das Leben ohne solche Menschen!
Haben wir uns ins Ärgern reingesteigert, sehen wir nur noch Ärgerliches! Die ÄRGER-BRILLE fokussiert auf das OPFERERLEBEN und macht alles andere unsichtbar. Weil es sich aber viel besser anfühlt, DER HAMMER STATT DER AMBOSS zu sein, bekommt der Übertäter nun die ‚gerechte Antwort‘. Wer zum Gegenangriff übergeht und austeilt, glaubt immer, es stehe ihm zu: Auge um Auge, Zahn um Zahn! Wechselseitig erlebt man sich selbst ja nur als Opfer, den anderen als Täter – obwohl jetzt beide beides sind. So entsteht eine symmetrische Eskalation, ein TEUFELSKREIS: Man macht sich gegenseitig die Hölle heiß.
Besonders heftig geht es in engen persönlichen Beziehungen zu: Über fiese Verhaltensweisen unserer Lieben ärgern wir uns mächtig. Vor allem, wenn wir glauben, dass sie unsere Grenzen absichtlich verletzen! Videoaufnahmen von Paaren, die einen ROSENKRIEG gegeneinander führen, zeigen Erstaunliches: Im Wortgefecht überziehen sich beide mit Entwertung und Verachtung, doch ihre Körpersprache zeigt eine perfekt aufeinander abgestimmte Choreographie! Heftiger Streit erzeugt eine andere Art intensiver Nähe: Der/die Partner:in bekommt wieder ungeteilte Aufmerksamkeit, sogar wenn er/sie gar nicht anwesend ist! Kurt Tucholsky hat das auf den Punkt gebracht: „Man liebt sich auseinander, aber man zankt sich zusammen.“
Aus Angst vor den Konsequenzen, vor Verlassenheitsangst, schlucken manche den Ärger lieber runter. Völlig passiv zu bleiben birgt aber neue Gefahr: Ist die Rettung durch Kampf oder Flucht aussichtslos, wird im Nervensystem der TOTSTELL-REFLEX aktiviert. Auf Dauer kann so jemand dann in Depressionen versinken.
Unser GEHIRN ist ein BEZIEHUNGSORGAN. Immer, wenn andere Menschen sehr leicht Stress bei uns auslösen, ‚triggert‘ etwas in ihrem Verhalten ein Bedrohungsgefühl aus der Kindheit. Störungen im BONDING, der ersten Beziehungserfahrung von Säuglingen, wirken sich erheblich auf das weitere Leben aus, so die Bindungsforschung. Babys sind völlig abhängig von liebevoller Fürsorge. Da ihr Nervensystem noch unvollständig entwickelt ist, können sie sich nicht selbst beruhigen und sind auf die Co-Regulation durch Bezugspersonen angewiesen.
Doch leider wurden Generationen von Müttern durch die ERZIEHUNGSBIBEL von Johanna Haarer geprägt: „Die Deutsche Mutter und ihr erstes Kind“. Der Bestseller aus der Nazi-Zeit (sprachlich bereinigt noch bis 1987 viel gekauft) warnt vor „äffischer Zuneigung“, die nur „kleine Tyrannen“ erzeuge, und rät, schon Säuglingen Disziplin beizubringen: Wenig Körperkontakt, Stillen und Füttern nach Plan, dazwischen das Kind weglegen und schreien lassen („kräftigt die Lungen“). „Das Wesentliche bei Johanna Haarer ist, dass man dem Kind keine Zuwendung gibt, wenn es danach ruft“, so der Bindungsforscher Klaus Grossmann. Ein Baby könne sich aber nur mit Schreien, Mimik und Gestik ausdrücken. Bleibe das ohne Antwort, lerne es, dass seine Äußerungen nichts wert seien. Jede Verweigerung sei eine Zurückweisung. Und wenn Babys bei Hunger oder Einsamkeit nicht von ihrer Bezugsperson beruhigt würden, dann erlebten sie sogar Todesangst, die tiefe Spuren im Gehirn zurücklasse!
Sehr viele Menschen haben solche ‚Erziehung‘ erlitten und leiden noch heute unter Urangst statt Urvertrauen, was dann oft auch ihre Kinder ‚erben‘. Mit dieser transgenerationalen Weitergabe hat die starke Verbreitung von Beziehungsstörungen und psychischen Erkrankungen zu tun, so die Forschung, ebenso das allgemeine Klima von Gereiztheit und Aggression.
Wer leicht von anderen Menschen genervt ist, hat eine hyperaktive ALARMANLAGE IM MITTELHIRN entwickelt, die überall Gefahr wittert. Wird das Trauma früher Gewalterfahrung neu ‚getriggert‘, sind wir wie früher wieder im SCHMERZKÖRPER (Eckhard Tolle), ganz egal wie alt wir heute sind.
Doch diese GEWOHNHEITSWIRKLICHKEIT lässt sich VERÄNDERN, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Zuerst im vegetativen Nervensystem:
Wenn schon Kleinigkeiten Stress erzeugen, funktioniert der SOZIALE VAGUS-NERV nicht, der bei allen Säugetieren dafür sorgt, dass sie sich mit Artgenossen sicher fühlen. Dann unbedingt regelmäßig und oft die ÜBUNG ZUR VAGUS-REGULIERUNG machen, um sich vertrauensvoll anderen Menschen gegenüber öffnen zu können! Die Übungsanleitung als Download: „Erste Hilfe bei Angst und Stress“.
In den nächsten Folgen zeige ich Wege auf, zwschenmenschliche Begegnungen mit Gelassenheit und Selbstvertrauen bewusst zu gestalten.
Fortsetzung: Wieso andere unsere wunden Punkte kennen
Bildquelle: Pixabay
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