Umgang mit Angst und anderen starken Emotionen

Teil 5 der Serie STRESSFAKTOR MITMENSCH
Andere Menschen können uns manchmal wirklich zur Weißglut treiben! Eine Alltagserfahrung, die wir meist auch so beschreiben, dass die ANDEREN UNS ZU ETWAS TREIBEN! Diese Beschreibung hat aber AUSWIRKUNGEN, die uns nicht bewusst sind: Denn damit sind wir DIE GETRIEBENEN! Und das aktiviert sofort unser Urhirn: Unsere Urahnen waren nämlich nicht nur Jäger, sondern auch selbst Beute für Raubtiere! Sobald das Gefühl aktiviert wird, „getrieben“ oder „gejagd“ zu werden, übernimmt SYSTEM 1 und schaltet auf die lebensrettende Stress-Reaktion um: Das Herz rast, der Atem wird hechelnd, und alle Kraft geht in die Muskeln von Armen und Beinen …

OPFER-ERLEBEN löst immer AUTOMATISCH STRESS aus! Im autonomen (vegetativen) Nervensystem spielt dabei ein bestimmter Nervenstrang die Hauptrolle: Der VORDERE ‚SOZIALE‘ VAGUS. Sobald wir Angst bekommen, wird er abgeschaltet und System 1 übernimmt. Ist dieser Nerv dagegen aktiv, fühlen wir uns sicher und können anderen Menschen vertrauensvoll begegnen, sogar in kritischen Situationen, weil unser bewusstes Denken die Regie führen kann! Der Nerv ist mit der Entwicklung der Säugetiere entstanden. Ohne ihn gäbe es keine menschliche Kultur, die auf friedlicher sozialer Interaktion in der Familie, der Gruppe, der Gesellschaft beruht.

Der soziale Vagus ist auch im Sport UNVERZICHTBAR FÜR FAIR PLAY. Was bei plötzlicher Abschaltung passiert, zeigt der Ausraster von Novak Djokovich bei den US-Open 2020, der „die gesamte Tennis-Welt in Schockstarre“ versetzte:
Im Achtelfinalehatte der bis dahin“noch ungeschlagene Dominator“sich über einen Fehler so geärgert, dass er den Ball nach hinten weg donnerte und einer Linienrichterin damit den Knockout verpasste: DerWeltranglistenerste und klare Turnierfavorit wurde von den US-Open disqualifiziert. Er selbst war „sichtlich geschockt von seiner unabsichtlichen, aber höchst unsportlichen Aktion“, so die Presse. Die Disqualifikation werde er als „Lektion für mein Wachstum und meine Entwicklung als Spieler und Mensch“ nehmen.

Die Angst, den Satz /das Spiel zu verlieren, hatte den sozialen Vagus abgeschaltet: „Angst ist der stärkste Gegner auf dem Platz“, sagt der Tennis-Coach Peter Spang. Viele Profis scheitern daran, sobald sie im Turnier in die letzten Runden gekommen sind. Weil es jetzt plötzlich um etwas geht, was für die Karriere entscheidend sein könnte, setzen sie sich massiv unter Druck, verlieren Spielfreude und Lockerheit. Gegen nervenstarke Gegner sind sie dann ohne Chance.

„Angst kann man nicht dadurch bekämpfen, dass man sie unterdrückt oder zur Seite schiebt, das würde ihr nur noch mehr Nahrung geben.“ Man müsse sich mit der Möglichkeit der Niederlage abfinden, nur dann sei jemand genügend entspannt, um sich auf das Spiel zu konzentrieren und das eigene Potential voll auszuschöpfen. Bevor man bei äußeren Gegnern gelassen bleiben könne, müsse man sich erstmal mit ‚inneren Gegnern‘ auseinandersetzen, mit den eigenen ‚Triggerpunkten‘: „Freunden sie sich mit ihrer Angst an, fassen sie sie als Botschafter aus den Tiefen ihrer Psyche auf. In diesem Gefühl versteckt sich höchstwahrscheinlich eine Erkenntnis, ein ungehobener Schatz. Und mit Erkenntnis stellt sich immer ein Gefühl der Freiheit ein.“ (Zitate aus Peter Spang: Zennis)

Emotionen wie Angst oder Ärger sind Grundkräfte unserer Lebendigkeit, sehr starke Energien!
E-motion = eine innere Bewegung, die ’nach draußen will‘, sich ausdrücken will. Und wie wird Ärger normalerweise ausgedrückt? Man nimmt den ‚Verursacher‘ ins Visier und schlägt verbal, nonverbal oder tatsächlich zurück (was dort meist als Einladung in den Teufelskreis gegenseitiger Angriffe und Anschuldigungen verstanden wird). Oder man frisst den Ärger in sich hinein (was zu Gedankenkarussellen führt, die sich immer im Kreis drehen).

Spang empfielt zum Entladen solcher Spannungen das „Kauderwelschen“, bei dem man in einer Phantasie-Sprache laut und mit Nachdruck mit sich selbst redet, am besten natürlich alleine! Dies basiert auf einer alten Sufi-Technik, mit der vor einem Gebet oder einer Meditation der Geist gereinigt wird. Auf dem Platz rät er zum „Dampf ablassen“ durch energisches Aufstampfen – aber nicht gegen jemanden gerichtet, sondern ins Nichts.

Und ich empfehle, die GEDANKLICHE BEWERTUNG zu VERÄNDERN, wenn man sich über jemanden sehr ärgert! Hier als Beispiel 3 Variationen:
a) X hat mich zu Weißglut gebracht: Wie ist die AUSWIRKUNG AUF MICH?
b) Ich bin stocksauer, weiß aber, dass Xs Verhalten auch Gründe hat: AUSWIRKUNG AUF MICH?
c) Ein Teil von mir ist stocksauer, ein anderer Teil sieht abermit „verständnisvollem Röntgenblick“, dass hinter Xs Verhalten ein wichtiges Bedürfnis steht: AUSWIRKUNG AUF MICH?

Fortsetzung Teil 6 der Serie: Gelassenheit und gutes ‚Standing‘
— Körper-Übung zur Regulierung des Vagus-Nervs: „Erste Hilfe bei Angst und Stress

Bildquelle: Pixabay
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